-die psychologischen Verflechtungen des Paares. Auf den
ersten Blick scheint der Fischer der gutmütige, brave Mann und seine Frau
Ilsebill das
böse, gierige Weib zu sein. Doch bald wird klar, der Fischer,
der eigentlich immer nur seine Ruhe haben möchte und Veränderungen fürchtet,
der einen erschreckenden Mangel an Phantasie und Einfühlungsvermögen
an den Tag legt, ist mitverantwortlich für Ilsebills nicht zu befriedigende
Gier und Unzufriedenheit.
-die Dynamik der Wünsche: Erst will Ilsebill nur eine kleine
Hütte haben, ein verständlicher Wunsch, denn in den Pißpott regnet es
hinein, es stinkt in
ihm und ist eklig. Es folgt ein Schloß und dann die
Steigerung ins groteske Übermaß: König, Kaiser und Papst, bishin zum wahnsinnigen
Wunsch
werden zu wollen wie der liebe Gott, der den Sturz zurück in den
Pißpott zur Folge hat.
-die Dynamik der Zeit: ist Ilsebill in der kleinen Hütte noch zwei Wochen
zufrieden, wird sie schließlich an einem Tag König, Kaiser und Papst.
-die Dynamik der Zerstörung: in sieben Stufen wird das anfangs klare Meer
mit jedem Wunsch schmutziger, stinkender und wilder. Zuletzt ein
Weltuntergangsszenario
mit schwarzen kirchturmhohen Wogen und bebenden Bergen.
-und dies alles einfühlsam und humorvoll ohne moralischen
Zeigefinger darzustellen, erkennend, daß Ilsebills Maßlosigkeit
und die Angst des Fischers
vor Veränderung in jedem von uns steckt.
Technik
Vom Fischer und seiner Frau wird vom Theater der Dämmerung
als Schattentheater mit ca. 60cm großen beweglichen
Scherenschnittfiguren aufgeführt. Die in der Höhe verstellbare Bühne
(4m breit, 2m tief, Mindestraumhöhe 2m15) bietet in bis zu 25m langen
Räumen bis zu 300 Zuschauern ein stimmungsvolles Theatererlebnis.
Wir erzählen den hochdeutschen Originaltext- musikalisch untermalt- “live” mit Mikrofonverstärkung.
Bühnenbilder und Figuren: Roland-Karl-Metzger
Inszenierung und Erzählung: Friedrich Raad (live mit Headset)
Musik: Andreas Starr
Premiere beim Theater der Dämmerung: 1999 Neuinszenierung: 2011 und 2023
Das trunkene Lied
Ilsebill ist Papst. Nun kann sie doch nichts Mächtigeres
mehr werden?! Aber sie bleibt unzufrieden. Es ist Nacht. Neben ihr schläft
ihr Mann. Nun erklingt
Friedrich Nietzsches Gedicht Das trunkene Lied.
Es ist das letzte Atemholen vor dem Orkan,
eine Mahnung, ein Fingerzeig
auf den tieferen Sinn von Unzufriedenheit und Leiden.
O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
“Ich schlief, ich schlief-,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht:-
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht.
Tief ist ihr Weh-,
Lust- tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit-,
-will tiefe, tiefe Ewigkeit!”
Der Butt: Haben und Sein
Die ersten Zeilen der Erzählung lassen den Fischer nicht gerade als
einen Ausbund von Tatkraft und Verantwortlichkeit erscheinen. Ein statisches
Leben wird uns vor
Augen geführt, geprägt von immer gleichen Abläufen.
Der Fischer kann seiner Frau nur einen Pißpott bieten. Da ist es doch
verständlich, daß Ilsebill zu Hause die
Decke auf den Kopf fällt, daß
sie von seiner “unendlichen Genügsamkeit” und Ruhe auf die Palme getrieben
wird. In dieser Situation taucht ein “Dritter” auf: Der Butt,
ein verwunschener
Prinz, verkörpert das ungelebte Leben der Eheleute. Aus der Zweierbeziehung
wird eine Dreierbeziehung, und das bisher eingespielte
Gleichgewicht
gerät völlig aus den Fugen. Während der Fischer, der wohl schon lange
seine Wünsche und Sehnsüchte verdrängt hat, den Butt schnell wieder
loswerden möchte, spricht Ilsebill auf die Verheißung an.
Nicht weil er seine Frau liebt übermittelt der Fischer dem Butt Ilsebills
Wünsche, sondern weil er seine Ruhe haben möchte. “Was soll ich denn
da noch hingehen,”
mault er. Er zeigt keinerlei Verständnis für ihre
Wünsche. Ja, beim Butt beschwert er sich über sie: ”Meine Frau de Ilsebill,
will nicht so als ich wohl will.” So ist
seine Selbstlosigkeit in Wahrheit ein Mangel an eigenständigem Ich. Seine Wunscherfüllung enthält
immer eine Mißbilligung eben dieses Wunsches: “Was du
immer willst!”
So kann Ilsebill nicht glücklich werden! Ihr tiefster Wunsch und ihr
dringendstes Bedürfnis, als Person angenommen, wertgeschätzt und geliebt
zu
werden, wird ihr von ihrem Mann verweigert.
Doch Ilsebill übersieht diesen Punkt. Ihre Unzufriedenheit, die stets
bleibt, verführt sie zu meinen, sie hätte nicht genug bekommen. Was
sie auf der Beziehungsebene vermißt, verschiebt sie nach außen: die
Hütte ist plötzlich zu klein...
Sie ersetzt also das “Sein” durch “Haben”,
Qualität durch Quantität. Aber “Mehr-Haben” führt nicht zu “Mehr-Sein”,
darum steigert sich ihr Haben-Wollen in immer absurdere Dimensionen.
Der verzauberte Prinz, der im Butt
auf Erlösung wartet, wird völlig
mißinterpretiert: Nicht als Repräsentant einer neuen Qualität des Lebens
nach der die Seele drängt, sondern als Erfüller immer groteskerer Wünsche.
Und was steckt unter der Gier? Angst und ein verschlossenes Herz, dem das Vertrauen ins Leben abhanden gekommen ist.